Jule und Papa suchen ein Geschenk für Mama
Eigentlich wollen Jule und Papa ein Geschenk für Mutti kaufen,
doch wie immer sind sie in Charlies Schatzkästchen, einem alten Laden mit vielen
Trödel-Schätzen, gelandet. "Ah", sagt Papa.
"Hier ist es gemütlicher, nicht?" Jule nickt.
Bei Charlie ist es nicht so trubelig wie in anderen Geschäften.
Außerdem kann man hier auf Schatzsuche gehen. Charlie hat Jule einmal erzählt,
sein Schatzkästchen sei wie eine Märchenkiste,denn jedes alte Trödelstück
könne eine Menge Geschichten aus seinem langen Leben erzählen.
Das interessiert Jule, und sie spitzt mächtig die Ohren,
wenn sie in Charlies Laden herumstöbert. So auch heute.
Wie immer hat sich Papa gleich in ein altes Schränkchen verguckt.
"Schön!", sagt er und streicht über das wurmige Holz. Jule weiß Bescheid.
Für eine Weile würde Papa nun vor dem Schränkchen stehen, sein Geld zählen
und überlegen, ob Mama über dieses alte Trödelstück sehr schimpfen würde.
Genug Zeit, um ein bisschen herumzustöbern.
Vorsichtig bahnt sie sich einen Weg durch Bücherberge und Regale zur Spielzeugecke.
Dunkel ist es da, und Jule stolpert. "Haho! Pass auf!", trompetet es auf einmal.
"Du zertrampelst mich ja!" Jule erschrickt. "V-v-verzeihung!", stammelt sie
und blickt in die alten Augen eines Holzelefanten.
"Sieh mich nicht so an!", knurrt der Elefant.
"Ich bin alt und hässlich! Meine Farbe blättert ab!" "Das ist doch nicht schlimm",
meint Jule. Der Elefant seufzt. "Das sagst du, um mich nicht zu kränken.
Mich kauft sowieso niemand mehr. Das ist auch gut so.
Hier ist jetzt meine Heimat!" „Recht hat er!", flispert eine Stimme.
"Ich könnte es nicht ertragen, wenn man mich kaufte."
"Warum nicht?" Jule blickt erstaunt in ein zartes Puppengesicht aus Porzellan.
"Magst du es nicht, wenn ein Kind dich liebhat?" "Oh weh!", heult die Puppe auf.
"Ich bin viel zu fein für ungeschickte Kinderhände! Nein, nein!"
"Stimmt", beschwert sich ein beinloser Harlekin.
"Kinder haben mich auf dem Gewissen."
"Sie haben es bestimmt nicht mit Absicht getan!", will Jule sagen,
aber da heult schon ein vielstimmiger Zinnsoldatenchor los:
"Absicht! Alles Absicht!" "Leben ist Kampf!" "Wir hassen Krieg!"
"Kinder haben nur Kriegsspiele im Sinn." "Jawohl! Jawohljaaa!!!"
Meckernd hallt es durch den Laden.
"Ich hasse Kriegsspiele!", schimpft Jule. "Krieg ist gemein!
Ich werfe auch keine Puppen auf den Boden,
und Harlekins mache ich auch nicht kaputt." "Hach!", ruft die Puppe.
"Das kann jeder sagen!" "Kinder sind wild!", heult der Harlekin,
und der Elefant murmelt: "Ein alter Baum lässt sich nicht verpflanzen!
Ein alter Baum lässt sich nicht verpflanzen. Ein alter Baum...!"
Ganz schön trubelig geht es zu in Charlies Schatzkästchen.
"Quatschköpfe!", brummt es da plötzlich aus der Ecke.
"So einen Unsinn habe ich lange nicht mehr gehört.
Ich kann mir nichts Schöneres als kuschelwarme Kinderarme vorstellen.
"Die Spielsachen lachen hämisch auf.
"Hihi, hört ihr den ollen Bären?" "Hähähoho!" "Du staubiger Schmutzbär!
Dich mag kein Kind mehr leiden! Ein Auge fehlt dir und ein Ohr!"
Der Bär scheint sich aus dem Gespött seiner Gefährten nichts zu machen.
"Unter Blinden ist der Einäugige König!", brummt er gutmütig.
"Und wo steckst du einäugiger König?", fragt Jule.
"Hier!", schallt es aus dem Waschkorb.
"Durch einen dummen Zufall bin ich in dieses finstere Ding geraten.
Könntest du mich freundlicherweise wieder befreien?"
Jule ist neugierig geworden. "Aber ja!"
Sie greift in den Waschkorb. Puh! Der alte Bär ist wirklich sehr staubig.
Jule muss husten. "Puste mal!", sagt der Bär.
"Könnte es sein, dass ich tatsächlich etwas schmutzig bin?" "Und wie!", kichert Jule
und pustet so heftig, dass sich dicker Staub auf die Puppe legt.
Und während die gleich wieder losschimpft, kuschelt sich der einäugige Bär
in Jules Arme und brummt behaglich: "Schööön! Schmusen ist ja so schön!"
Da fängt es in Jules Bauch an zu kribbeln.
Zärtlich streichelt sie über das zerrupfte Bärengesicht und sagt: "Ich mag dich!"
"Oh!", freut sich der Bär. "Liebhaben ist noch schöner! Wäre es nicht eine gute Idee,
wenn ich für immer bei dir bliebe? Ich mag dich nämlich auch!"
Jule zögert. "Eigentlich wollen wir nur ein Geschenk für Mama kaufen, aber...!"
"Aber...?", fragt der Bär, und sein Auge bettelt. "Gut!", sagt Jule.
"Ich werde dich Bibo nennen!"
Papa steht noch immer grübelnd vor dem Wandschränkchen.
"Dieses Schränkchen",fragt er vorsichtig,
"wäre es nicht ein tolles Geschenk für Mutti?",
Jule sieht Papa zweifelnd an. "Das ist Bibo", sagt sie auch vorsichtig.
"Meinst du, Mutti würde sich über ein Bären freuen?"
Papa sieht auf Bibo, Jule sieht auf das Wandschränkchen,
und dann müssen beide lachen. "Also gut!",
sagt Papa schließlich mit Lachtränen in den Augen.
"Für dich den Bibo-Bären, für mich das Schränkchen und für Mutti...?
Tja,ich fürchte,wir müssen uns morgen noch einmal in den Einkaufstrubel stürzen."
Da muss Jule noch mehr lachen.
Sie weiß schon,wo morgen die Einkaufstour enden wird.
Hier nämlich, in Charlies Schatzkästchen. Wie immer.
Papa und Jule lachen noch, als sie längst auf dem Heimweg sind.
Am lautesten aber lacht Bibo, der Bär.